Führung determiniert Vitalität

Kürzlich hielt ich vor Hamburger Managern einen Impulsvortrag zum Thema „Vitalität in Teams – wie Führungskräfte Gesundheit und Motiviertheit beeinflussen“. Die Reaktionen waren überwiegend betroffen bis bewegt: „Menschen kommen in Unternehmen wegen der Aufgabe – und gehen wegen des Chefs“ war die spontane Rückmeldung einer Teilnehmerin. Also, wie nehmen wir bewusst Einfluss darauf, dass unsere Mitarbeiter engagiert und vital arbeiten und dabei einen möglichst großen Teil ihres Potentials einsetzen?

Viele Mitarbeiter beschreiben ihren Job resigniert nur noch als „den täglichen Wahnsinn“ oder „das Hamsterrad“. Die Gallup Studie hat dies empirisch belegt: nur 16% empfinden eine hohe emotionale Bindung gegenüber ihrem Unternehmen. Im Umkehrschluss: 84% der Mitarbeiter sind nur gering oder gar nicht emotional engagiert, wenn es um die Beziehung zu deren Arbeitgeber geht. Und natürlich kennen Sie die Effekte: nine-to-five, Dienst nach Vorschrift, innere Kündigung. Kaum vorstellbar, in diesem Modus Innovationen oder Wettbewerbsvorteile für die Organisation zu erschaffen.

In wirtschaftlich handelnden Organisationen ist Stress systemimmanent: knappe Ressourcen, permanente Veränderungen, Konflikte und kritische Beziehungen sind Haupttreiber dafür, dass ein Arbeitstag nicht „easy-going“ verläuft; dass Anspannung und Stress eher die Regel als die Ausnahme sind. In dieser Situation sind Führungskräfte zweifach gefordert: zum Einen müssen sie externe Rahmenbedingungen so beeinflussen, dass Mitarbeiter darin ihr Leistungspotential entfalten können. Also aktiv in Prozesse und Strukturen eingreifen und diese gestalten, statt sie (mit Blick auf die eigene Komfortzone) als gegeben zu akzeptieren.

Zum Zweiten – und dies ist für viele Manager die größere Herausforderung – müssen sie ihr eigenes Wirken so gestalten, dass dieses den (immanenten) Druck auf die Mitarbeiter möglichst wenig verstärkt. Der Vortrag skizziert dafür folgende fünf Handlungsfelder:

  • Hinschauen, bevor das Problem entsteht: Wenn Mitarbeiter an die Grenzen ihrer Belastbarkeit geraten, wird dies anhand einer Vielzahl körperlicher, emotionaler, kognitiver und sozialer Indikatoren sichtbar. Es ist also nicht zu übersehen – es sein denn, die Führungskraft entscheidet sich bewusst dafür. Aus Unsicherheit, Selbstschutz oder Überforderung kann man die Signale ignorieren – in der Hoffnung, dass es „schon nicht so schlimm sein wird“. Doch Hoffnung ist kein guter Berater für Menschenführung. Statt dessen müssen Führungskräfte hinsehen, sich als Resonanzkörper anbieten, authentisch nach Lösungen suchen – sowohl bei den Ursachen der Über-Belastung als auch deren Wahrnehmung durch den Betroffenen.
  • Selbstverantwortung statt Fremdsteuerung: Je intensiver Sie Ihre Mitarbeiter in Ihre Führungsarbeit einbeziehen, um so stärker werden diese auch die Rahmenbedingungen (mit-)gestalten. Doch das bedeutet auch einen gewissen Kontroll- und damit Machtverlust der Führungskraft. Wohl deshalb ist die Tendenz zum Mikromanagement nach wie vor ausgeprägt – obwohl jeder weiß, dass dies Kreativität und Engagement nachhaltig zerstört.
  • Raus aus der Komfortzone: Ob wir wollen oder nicht – wir bewegen uns in relativ engen Denk- und Handlungsmustern, die meist durch Erfahrung erworben wurden und in der Regel Orientierung gebende Basis unseres erfolgreichen Wirkens sind. Doch in steigender Komplexität und Dynamik versagen diese häufig und wir spüren, dass wir nicht weiter kommen. Der Wechsel von probaten in neue Muster ist anstrengend und erfordert Mut. Oder anders ausgedrückt: echte Veränderung findet immer außerhalb Ihrer Komfortzone statt.
  • Wirksamkeit und Wirkung: Führungskräfte wirken auf zwei Ebenen auf ihre Mitarbeiter. Zum Einen EXPLIZIT: durch bewusstes Handeln, Überlegung und Aktion; zum Anderen IMPLIZIT: durch unbewusstes Handeln, tiefer gelegene Muster, Werte, Intuition. Die Mitarbeiter interpretieren ihre Führungskraft natürlich aus Beidem (so entstehen oft „Bilder“ des Chefs, die dieser vollkommen überraschend fände) und stellen ihr Verhalten auf diese „Interpretation“ ein. Feedback und Selbstreflexion sind Kernkompetenzen, mit denen Führungskräfte dem entgegen wirken.
  • Verträge im Leben – die Säulen unserer Identität: Mitunter legen Manager ihre Eigen-Maßstäbe an Arbeitsintensität, Motiviertheit und Prioritäten auch an ihre Mitarbeiter an. Damit kreieren sie ein Zerrbild: denn jeder von uns definiert seine eigene Balance zwischen den verschiedenen „Verträgen“, die er eingegangen ist: mit dem Unternehmen (natürlich), aber auch mit Partnern, Kindern, der eigenen Gesundheit, seiner Spiritualität, seinem Wertegerüst und vielem mehr. Bewusste oder unbewusste Übertragungseffekte der Führungskraft sollten also kritisch hinterfragt werden.

Mich hat nicht überrascht, wie präsent die genannten Themen im Laufe des Vortrages für die anwesenden Führungskräfte wurden – und wie nachdenklich diese machten. Oft betrachten wir uns als Teil einer Performance-Maschine, mitunter sogar als Betroffene einer Grenzbelastungssituation. Wir übersehen dabei, welch enormen Einfluss wir durch unser eigenes (explizites und implizites) Verhalten auf die Vitalität unserer Mitarbeiter nehmen – und wie nahe es liegt, dieses immer wieder korrektiv zu justieren.

Die Führungskräfte, die an oben genanntem Vortrag teilnahmen, gaben jedenfalls eine sehr konsistente Rückmeldung: 94% von ihnen erklärten auf dem Feedbackbogen, die Erkenntnisse unmittelbar in ihre Führungsarbeit integrieren zu wollen.

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