Die Vision einer ultimativ erfolgreichen, selbstbewusst-charismatischen, praktisch fehlerfreien und unaufhaltsamen Führungskraft dient vielen Managern als Blaupause für ihre eigene Ambition – insbesondere in der zweiten Hälfte ihres aktiven Berufslebens. Leider ist sie so unrealistisch wie destruktiv, weil sie unsere Reflektions- und Selbststeuerungsfähigkeit drastisch einschränkt.
Besonders wird dies spürbar, wenn der bisherige geradlinige Weg plötzlich steiniger wird: Beförderungen ausbleiben oder verzögert werden, Akzeptanz bei Mitarbeitern oder Vorgesetzten schwindet oder einzelne Herausforderungen einfach nicht unter Kontrolle zu bringen sind. Nicht selten geht dies mit einer erhöhten Anspannung im gesamten Alltagsleben einher: wir investieren noch mehr Zeit in unsere Arbeit, Familie und Freunde bekommen noch weniger Aufmerksamkeit, eigene Bedürfnisse wie Sport oder Erholung werden vernachlässigt, tiefer Schlaf weicht grübelnden Wachphasen.
Ein immer wieder zu beobachtendes Handlungsmuster in dieser Situation könnte man „digging the same hole but deeper“ nennen: bisherige Erfolgsmechanismen werden noch intensiver angewendet – praktisch ausgequetscht; scheinbar neue Ideen – die eigentlich im bisherigen Denkkorridor bleiben – im zwei-Wochen-Takt hervorgebracht und die Erwartungen an Kollegen und Mitarbeiter sukzessive erhöht. Mehr vom Gleichen also – obwohl wir schon von Einstein wissen, dass „immer das Gleiche zu tun und dabei andere Ergebnisse zu erwarten“ keine besonders konstruktive Einstellung ist.
Verantwortlich dafür ist das tief in uns verankerte Bedürfnis nach Orientierung, nach Sicherheit, nach Berechenbarkeit. All unsere bisherigen Erfolgserlebnisse – allen voran unsere Karriere – interpretieren wir einem bestimmten Verhalten zu, welches wir ziemlich genau beschreiben können: unser Erfolgsmuster. Es hat uns hierher gebracht! Es hat uns vor Rückschlägen geschützt und uns gegen Konkurrenten durchgesetzt. „Never change a winning horse“ – warum sollte es jetzt auf einmal nicht mehr funktionieren? Innerhalb dieses Musters fühlen wir uns sicher aufgehoben, wie in einer vertrauten Umgebung. Genau genommen ist unser bisheriges Erfolgsmuster etwas, das wirksame Manager verabscheuen: eine Komfortzone.
Sicher kennen Sie das Gefühl, in eine neue Wohnung einzuziehen. Selbst wenn diese viel schöner, heller, großzügiger als die bisherige ist, fühlt man sich in den ersten Tagen unwohl, ungewohnt – unkomfortabel eben. Erst nach einer Weile gewöhnt man sich daran und spürt jeden Tag ein bisschen mehr auch die Vorzüge des neuen Heims. Der Prozess, eine innere Komfortzone zu verlassen, einen neuen, noch unbekannten Denk- oder Handlungsweg zu wählen und diesen dann Schritt für Schritt zu einem neuen „sicheren“ Muster zu vertiefen, gleicht sehr stark dem physischen Umzug von einer vertrauten in eine unbekannte Umgebung.
Nun ist Business Coaching keine Umzugsberatung: ein guter Coach erklärt Ihnen nicht, wohin Sie umziehen und wie Sie Ihre Möbel aufstellen. Im geschützten Rahmen eines Coachings passiert stattdessen folgendes:
- das eigentliche Problem, die tiefer liegende Herausforderung, wird heraus gearbeitet. Oft verbirgt sich diese unter einer Reihe von „Vorzeigeproblemen“, die wir unbewusst konstruieren, um unsere Komfortzone nicht antasten zu müssen,
- Mut und Motivation zum Ausprobieren eines neuen, veränderten Betrachtungs- und Aktionsmusters werden erzeugt. Jegliche Veränderungen gehen immer mit Anspannung und Risiko einher; im Coaching simulieren und probieren Sie diese quasi unter gesicherten Laborbedingungen.
- die kraftvollen Ressourcen, über die jeder von uns verfügt und die uns in einem neuen (ungewohnten) Handlungsmuster stabilisieren, werden identifiziert und zugänglich gemacht. Fast immer gibt es in unseren aktuellen (limitierenden) Mustern Quellen für Wachstum – „das Gute im Problem“, das es mitzunehmen gilt.
- die ersten Schritte in ein neues Muster – und auch die Sicherheitsleine zurück – werden definiert. Ihr eigenes „try and error“ Programm schafft eine gewisse Orientierung und Stabilität und reduziert damit das Risiko, bei der ersten Unwägbarkeit unreflektiert in alte – bewährte – Handlungsroutinen zurück zu fallen.
Insofern ist professionelles Business Coaching nie manipulativ: ein guter Coach wird immer Richtung und Geschwindigkeit des Klienten akzeptieren, ihn auf diesem Weg fördern und stabilisieren sowie dessen Entscheidungen vollständig respektieren.
Doch was kann ein Klient erwarten, wenn der Coach nicht nur als prozessualer Begleiter, sondern auch als inhaltlicher Berater gebraucht wird? Wenn die fachliche Expertise des Coaches – zum Beispiel in Change- oder Leadership-Themen – einen wertvollen Nutzen für den Klienten darstellen? Diesem Thema widmet sich der in Kürze erscheinende nächste Artikel.