Konkurrenz im Team – wenn Mitarbeiter Führung demontieren

„Anfangs glaubte ich, Herr W. sei der engagierteste meiner neuen Mitarbeiter und eine wesentliche Stütze des ganzen Teams.“ schildert der Standortleiter eines globalen Logistik Unternehmens seine frühe Wahrnehmung. „Er war extrem gut in der Organisation und bei Kunden vernetzt, hatte große Erfahrung und hohes Detailwissen zu unserem Geschäft und bemühte sich spürbar, zu mir als neuem Chef eine gute Beziehung aufzubauen. Doch je länger und intensiver wir zusammen arbeiteten, um so angespannter gestaltete sich diese.“.

Der Standortleiter hatte seine neue Rolle vor einem halben Jahr übernommen, welche für ihn einen enormen Zuwachs an Verantwortung und Einfluss im Unternehmen mit sich brachte. Zunächst jedoch – wie fast immer – agierte er in hoher Unsicherheit, da er sich in die fachlichen, kulturellen und sozialen Aspekte seiner neuen Umgebung erst einarbeiten musste. Ins Coaching kam er aufgrund seiner Wahrnehmung, dass der vermeintlich wichtigster Mitarbeiter immer stärker – offen und verdeckt – gegen ihn als Führungskraft arbeitete. Entscheidungen kritisierte er immer öffentlicher, übernahm in Meetings die Rolle eines oppositionellen „Sprechers“ und aktivierte sein internes Netzwerk in diesem Sinne.

Besonders für Manager, die neu in ihren jeweiligen Führungsrollen agieren, beinhaltet eine solche Situation erhebliche Risiken. In der ohnehin fragilen Phase des Neuanfangs, in welcher erheblicher Druck auf ihnen lastet, müssen sie verschiedene Aspekte dieser Situation im Blick behalten:

  • als neuer Manager steht man immer unter erhöhten Erfolgsdruck – die Dinge „in den Griff“ zu bekommen; aus der Phase des Lernens/Einarbeitens in die Phase der unternehmerischen Wirksamkeit zu gelangen
  • ob eingearbeitet oder nicht – in der Regel ist man ab dem ersten Tag verantwortlich für die operativen Ergebnisse des Bereichs. Selten gibt es eine „Schonzeit“, in welcher man in Ruhe die Dinge sortieren und zurecht legen kann
  • der kritische Mitarbeiter hat hohen Einfluss in der Organisation und kann diese für oder gegen die neue Führungskraft beeinflussen,
  • dies gilt ebenfalls für externe Stakeholder des Bereichs, insbesondere dessen Kunden
  • nicht zuletzt möchte man als Manager seinem neuen Vorgesetzten gegenüber keinen Zweifel aufkommen lassen, dass man auch in Phasen hoher Unsicherheit professionell mit kritischen Herausforderungen umgehen kann

In der Unsicherheit und Instabilität dieser Situation hatte der Manager Schwierigkeiten, sich für sein Vorgehen gegenüber Herrn W. zu entscheiden.

Aussitzen ist keine Option

Unter den geschützten Rahmenbedingungen des Coachings entwickelte der Standortleiter daher zunächst ein Szenario für den weiteren Verlauf der Situation, falls er nicht intervenieren würde. „Was passiert, wenn Sie alles einfach so weiter laufen lassen? Was wäre das Gute an dieser Entwicklung? Welche Herausforderungen entstünden dadurch? Was würde das für Sie persönlich bedeuten?“.

Schnell wurde deutlich, dass das buchstäbliche Aussitzen des Problems keine Option ist. Er konnte nämlich keineswegs davon ausgehen, dass Herr W. sich eines Tages schon „einreihen“ und die neue Führung akzeptieren würde. Statt dessen würde dessen Einfluss innerhalb und außerhalb der Organisation immer deutlicher – über kurz oder lang wäre der Standortleiter sowohl fachlich als auch in seiner Führungsrolle demontiert.

Grenzen der partizipativen Führung

In seinem Führungsverständnis legte der neue Manager großen Wert darauf, die Mitarbeiter in die Gestaltung der unternehmerischem Zukunft des Standortes einzubeziehen. In Workshops, regulären Meetings oder in den täglichen Gesprächen lud er zur Mitarbeit ein, hörte zu, reflektierte sich selbst und korrigierte mitunter auch eigene Entscheidungen. In der Reflexion während des Coachings wurde jedoch deutlich, dass Herr W. diesen offenen Führungsansatz für seine eigenen Ziele ausnutzte und die progressive Intention des Managers damit ad absurdum führen würde.

Dieser entschied sich folgerichtig, den Konflikt offen zu adressieren – auch wenn er damit das Risiko einging, eine Eskalation zu provozieren, die möglicherweise (zunächst) nicht sichtbar zu einer Verschärfung des Problems führen würde. Entscheidend wurde damit, WIE die notwendige Konfrontation geführt werden würde.

Respekt und Wertschätzung auch in Krisensituationen

In einem Vier-Augen-Gespräch mit Herrn W. stellte der Manager zunächst dessen wertvollen Beitrag für das Unternehmen heraus. Er hatte sich intensiv darauf vorbereitet, Herrn W.’s positive Rolle in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu definieren und schaffte damit ein Klima der Wertschätzung für das Gespräch. Auch bat er Herrn W. um ein Feedback zu sich – er hörte aufmerksam zu und machte Notizen zu den Punkten, die dieser kritisch anmerkte.

Wesentlicher Teil des Gesprächs war eine Rückmeldung des Managers an Herrn W. Er  beschrieb seine Beobachtung, seine Wahrnehmung und seine Wertung dessen. Er machte unmissverständlich deutlich, dass diese Situation die positive Entwicklung des Standorts gefährde und er dies in seiner Führungsverantwortung nicht akzeptieren könne. Er lud Herrn W. erneut ein, daran mitzuarbeiten – mit dem Management des Standorts an einem Strang zu ziehen.

Nachdem der Konflikt einmal ausgesprochen war, kam schnell eine konstruktive Diskussion in Gang. Im Laufe einiger weiterer Gespräche fanden sowohl Manager als auch Mitarbeiter einen Modus, wie sie zusammen arbeiten können. Herr W. stimmte einem Vorschlag des Standortleiters zu, in einer veränderten Rolle eine andere fachliche Verantwortung zu übernehmen und dabei sogar in eine tiefere Hierarchieebene zu wechseln.

Für die anderen Mitglieder des Management Teams war es eine Erleichterung, dass der Konflikt gelöst wurde – und eine gute Bestätigung für die Führungsstärke ihres Chefs.

Entscheidend für den konstruktiven Ausgang des Konflikts war die grundsätzliche Haltung des Managers: auch einem kritischen und herausfordernden Mitarbeiter begegnete er auf Augenhöhe, betrachte ihn in seiner vielseitigen Gesamtwirkung und suchte nach wertschätzenden Lösungen. Durch seinen offenen Umgang mit der problematischen Situation jedoch – auch unter äußerst instabilen Rahmenbedingungen – nahm er seine Verantwortung als Führungskraft professionell und konstruktiv wahr.

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